Sylvia Geist
hiesige himmelsrichtungen
nach zehrschäden und heuschreckenvöllerei zu bestimmen wäre leicht
südliche lebensläufe zu unterscheiden von solchen aus unseren provinzen
ein kinderspiel in jahrhunderten die heimat unserer leibspeisen festzustellen
gäbe es schon methoden. übrig blieben überallkarten in
knöchernem esperanto
vollständiger entschlafen
in einem künftigen smithsonian als im erdarchiv die
vor uns. niemand der sie lesen könnte – besonders nachts
wenn du die ganze straße überblicken könntest weil niemand
dich ablenkt davon reist der glaube weit. aber
nicht allein
zu sein
ist ein zimmer im raum. im dunkel wohin
wir dauernd unterwegs sind die gezähmte landschaft ringsum auch
die blüht ihre große rapsfeldfreude die lautstärke am mittag
und wie es sein kann mit plänen und
auf lavendeltreppen.
Schön, dass Du hier bist, lieber Martin!
5. Juni 2009 14:27
Sünje Lewejohann
schreib tiere.
schreib große worte und kleine,
schreib schnecken ins gras und vögel auf zweige.
schreib all das weswegen und zu ehren von,
schreib all die großen, all die kleinen.
schreib wörter.
das ist, was du verlieren und einbüßen wirst,
was du suchst und tust, was du findest und bist.
schreib deinen aschenen kajak auf den spiegel des sees hinaus mit allem,
was vergessen und verschwunden sein wird,
all das
und dann lass die mätzchen fallen.
(Peter Laugesen, Skriv dyr, Übersetzung: Sünje Lewejohann)
5. Juni 2009 11:34
Björn Kiehne
Salz, Wellen, Sand,
meine gefalteten Hände
fangen den Wind,
flechten den Salzatem
in ihr schlichtes Gebet.
Im Bodden wispert das Schilf,
im Nordmeer singen die Wale,
am Himmel schreibt eine Möwe
mit Federkielen hundert Zeilen
an die Wolken, die Weite, das Meer.
Und könnte ich singen,
bliebe ich doch still.
Und könnte ich schwimmen,
täte ich es doch nicht.
Und wäre auch nur ein Gedanke sinnvoll,
spräche ich ihn nicht aus.
Nur Lauschen,
Rauschen.
5. Juni 2009 10:38
Martin Zingg
Immer erst mal ins innere Archiv,
das ungeräumte, räumen wäre kein Ende:
die Tassen, ja, blaue Landschaften
wie diese, und war so ein Teppich nicht das,
worauf man trat beim Besuch jeweils,
oder dieser Stich, der Dom von Utrecht:
ein Stich in den Himmel über allem,
Stativ einer Zeit ohne Aussicht
Darauf nicht vorbereitet, nicht wahr,
was zufällt, zerfällt, Archivbestand Ich:
Aushub mit Weckreiz, ein Aufhorchen, -blicken,
ist hier denn was zu holen, was denn
4. Juni 2009 21:42
Hans Thill
Seit der Romantik hat man sich immer wieder die Frage gestellt, was ein poetisches Leben sein könnte. Vivre poétiquement: für Baudelaire hatte der Dichter cool zu sein, Jarry fuhr mit dem Fahrrad durch Paris, eine Flinte auf dem Rücken, Brecht ließ die Zigarre nie ausgehn. Ganz anders Martin Zingg, für den das poetische Leben Engagement und unermüdliche Tätigkeit bedeutet. Als junger Mann hat er die Zeitschrift Drehpunkt begründet (zusammen mit Rudolf Bussmann), die nicht nur für die schweizer Literatur ein solcher geworden ist. Er hat in 25 Jahren 125 Nummern herausgegeben, bis ins Jahr 2006. Er ist ein einfallsreicher, verlässlicher Vermittler, Rezensent, Übersetzer, Journalist. Er schreibt konzentrierte, eigenwillige Gedichte, die man viel zu selten liest. Das soll jetzt anders werden. Willkommen, Martin Zingg, im Goldenen Fisch!
4. Juni 2009 18:15
Thorsten Krämer
Das Ergebnis von fünf Tagen Arbeit: ein Jungentraum in hochauflösender Grafik. Das Bett groß genug für Vergnügungen aller Art, an der Wand ein Flachbildschirm in Leinwandgröße. Statt eines einzigen großen Fensters gibt es ein asymmetrisches Muster von mehreren Scheiben, eingearbeitet in ein Regalsystem, dessen Ablageflächen nur spärlich belegt sind: ein großformatiger Bildband, die in futuristischem Weiß gehaltene Dockingstation eines MP3-Players, als Retro-Element ein Paar Baseballhandschuhe. Durch die Scheiben hindurch schimmert die generische Landschaft. Der Lichteinfall wirkt lebensecht, die Oberflächen sind mit genügend Details ausgestattet, um das Bild auf den ersten Blick real wirken zu lassen. Das Rendering ist makellos, die Rechenleistung hinter dem Projekt kann als ein Versprechen auf das Dargestellte selbst gesehen werden: Eines Tages wird ein menschlicher Körper seinen Schatten auf dieses Bett werfen, in Dubai oder anderswo.
3. Juni 2009 18:05
Mirko Bonné
Wo ich gestern erst ankam, lebendig
von Neugier, riss man den Bahnhof ab
Trümmer lagen hinter Maschen-
drahtstellgittern
und im Nieseln ein Beton- und Glasflach-
bau unter Bäumen für Bäcker, Super-
markt (Wir lieben Lebensmittel.)
Kranzfachhandel
wo die Blumenverkäuferin Grün trug. Mit
dem Gewicht einer Levkoje beschäftigte sie
die Bestürzung von mir Fremden
Bahnhofslosen
bis ich mir sicher sein konnte, sie dachte
beim Binden von Gerbera, Astern, Iris
wie ich, der ihre Blumen bestaunte
an mein Begräbnis und ihres.
*
2. Juni 2009 13:34
Andreas Louis Seyerlein
5.05 – Die ganze Nacht über fiel leise Regen. Das Geräusch des Wassers, ein Geräusch des Bodens, der Stämme, der Dächer, der Regenrinnen. Vielleicht, weil in ihm Zeit enthalten ist, Tropfen für Tropfen zu einer regelmäßigen Bewegung, höre ich dieses Geräusch als ein beruhigendes Geräusch. Oder auch deshalb, weil ich das Wesen der Kiemenmenschen in mir trage, weil ich von Menschenwohnungen erzähle, die unter Wasser stehen. An diesem kühlen Morgen im Mai ist noch etwas Wesentliches festzuhalten, ein angenehmes Wort, das Wort Leuchtfeuer. Und dass ich von Kranichen träumte, ja träumte, selbst ein Kranich unter Kranichen zu sein. Wir flogen eine Küste entlang. Ich erinnere mich, dass ich durstig gewesen war, weil viel Sonne vom Himmel brannte. Die Kraniche bemerkten bald, dass mich die Hitze quälte. Sie suchten nach meinem Schnabel, um mich mit Wasser zu füttern. Aber ich hatte keinen Schnabel, sondern einen menschlichen Mund, weshalb sie bald aufgaben, mich füttern zu wollen. Stattdessen näherte sich einer nach dem anderen, um nachzusehen, welch seltsamer Vogel mit ihnen nach Norden flog.
> particles
31. Mai 2009 15:37
Thorsten Krämer
Der Inhalt der Schubladen von unten nach oben: Geschenkbänder, Schleifen, ca. 10 Meter Kordel, ein Paar warme Wintersocken, zwei eingerissene Papierfächer. Eine kleine Pappschachtel mit Polaroids, ein Bündel Postkarten, Plexiglasteile für ein Architekturmodell, eine zusammengefaltete Packung Heilerde. Ein Schlüsselbund, ein Umschlag mit ausgeschnittenen Briefmarken, mehrere Stopfpilze, Haargummis, ein Pflanzenführer „Was blüht denn da – in Farbe“, eine Plastikdose mit Ein-Pfennig-Münzen. Neben der Kommode liegen zwei weitere Schubladen, ausgelegt mit Butterbrot-Papier. Ansonsten ist der Raum leer. An den mit weißer Raufaser tapezierten Wänden lässt sich noch erkennen, wo Bilder gehangen haben, vielleicht auch ein Spiegel. Der Boden, Laminat, weist einige tiefe Kratzspuren auf. Das Fenster steht auf Kippe.
28. Mai 2009 12:36
Markus Stegmann
Lordose molekurlare Gebete Lamm
du Schreber du wach gerüttelten
Reben weisst du was das
gedachte der Berg war dass
wir sassen als Molasse
Matrizen im Palast war es Mond
polare Sonnen oder Roggen fermentierter
Bambus Spolien Kapitelle
schallten erdenkliche Beete
abvererdet
das heisst erbebliches
Gebet als morgen nur
du und ich ankerten
an der InselInsel vor uns im
Angesicht als
Kometen erhängten die Kohle
den Berg essen wir Minen
versenken uns im Meer der
selbige Grund
der bettete der
sandige und Muscheln Schall
umranktes oder wie Salbe
Lavendel des Meeres und
der Liebe Wellen
fastete Durst
es hat noch trockene Erde
dort und
28. Mai 2009 00:23