Mirko Bonné
Nach Ezra Pound
Nur dich im Kopf, dich mein Sargassomeer,
so sandte dir mein Hafen über Jahre Schiffe
und tat sich groß vor dir mit allem Möglichen:
Ideen, Klatsch, dem Ramsch der Neuigkeiten,
von denen ich dir jede als fantastisch unterjubelte.
Ein Blödmann war ich – kein andrer suchte dich.
Du warst von Anfang an das Letzte. Tragisch?
Nein. Denn du wolltest einen so wie mich,
Typ düstrer Spund, blauäugig, abgestumpft,
Hirn Durchschnitt – jährlich zwei Karrieren futsch.
Oh ja, du warst geduldig, jahrelang, Jahrzehnte
standst du, wo was vorübertreiben hätte können.
Da kam ich, wollte was. Und du gabst reichlich.
Du hattest mich interessiert, ich schlich zu dir
und kriegte ja auch wunder was dafür:
vom Wind Gefischtes, sonderbare Winke,
Tatsachendachpappe, ein, zwei Geschichten,
die mieften wie Alraunen, was auch immer
noch nützlich an dir schien, nur es nie war
und nirgends Platz und keinen Nutzen hatte,
zu keiner Stunde im Verhau der Tage, lediglich
ein morscher, bunter, wundersamer Schrott.
Figuren, Schmierfett und Emaillereklamen,
das war dein Schatz, sein Höker du. Und doch,
das ganze Wrack bloß aus dem Laub der Dinge,
aus halb durchweichtem Holz und ollem Talmi:
Im müden Fließen von mal Licht, mal Tiefe,
nein, da war nichts, in diesem Kehricht
nichts, was ganz dein war.
Aber das warst du.
*
30. Januar 2017 12:53
Sylvia Geist
heute früh
wieder, da war es
schon beinahe hell: Holz
unter den Bedingungen der Bucht.
Ächzend, einsilbig, januarklar.
Ich suchte danach, in meiner Sprache,
doch es lässt sich nicht hören in ihrem Überfluss
an Silben. Arbeitendes Holz ist so hässlich
wie wirkendes schief.
Erst im flachen Schlaf knistert, was ich nicht mehr erlebte,
der große Petroleumkauf der Teppichweber von Kujan-Bulak
für die Trockenlegung des Sumpfs, dem das Fieber entschwirrte,
und die langwierigen Fragen der Leute unterm lodernden Dach
an Buddha, ob es wirklich brenne hier oder nicht doch woanders.
Während ich träume,
sie verloren geben zu können, anstatt sie verlieren zu müssen,
knarrt es vom Dachstuhl her von Versäumnissen (wieder
nicht, noch und noch), lässt die Fensterläden versagen,
arbeitet an der Tür, gegen die ich gestern antrat,
dass sie nicht mehr schließt, während ich träume,
es ist besser als die biegsame Sprache im Traum,
redet es lange,
nachdem man es schlug,
den Zerfall des Hauses herbei.
30. Januar 2017 11:52
Christian Lorenz Müller
Die amerikanischen Arbeiter sind Schafe.
Sie haben den Wolf zu ihrem Hirten gemacht.
Die Trump’sche Mauer: Ein anti-mexikanischer Schutzwall.
Wer Trump seinen Präsidenten nennt
gehört jetzt zum Establishment.
Diagnose: Dekretinismus.
30. Januar 2017 11:42
Gerald Koll
29. Januar 2016, ein Freitag
Johann Viktor von Scheffels Ekkehard ausgelesen. Ein zäher Knust. Ich habe ihn 1988 gekauft, vor 28 Jahren! Jetzt wollte ich ihn endlich lesen, denn im Himmel erwarte ich eine Belohnung für geleistete Lektüre kulturrelevanter Bücher.
Ferner stand mir sehr klar vor Augen, dass das Sterben vermutlich zu hoch bewertet wird. So wie eine Reise oder ein Umzug: Man hat einfach ein Unbehagen vor der ungewohnten Umgebung. Mit etwas Reiselust und Neugier ließe sich auf das Sterben freuen. Der Begriff Ende ist nicht denkbar. Töricht und anmaßend nur scheint mir, diesem Neuen irgendein Bild und irgendeine Form geben zu wollen, da Denken und Vorstellung Bestandteile des Lebens, also an dessen Form gebunden sind.
29. Januar 2017 11:54
Gerald Koll
28. Januar 2016, ein Donnerstag
Anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz liefen gestern einige Dokumentationen im Fernsehen. Trotz der abstoßenden Gemütlichkeit, in die die Grässlichkeit gebettet wurde, seit man für sie eine verlässliche Sprache gefunden hat (siehe das Klischee des Einfahrtgrauens: Kamera auf Schienen legen und langsam in Frontaltotale auf das Turm-Portal des Lagers zufahren lassen), blieb ich hängen und sah eine bemerkenswerte Doku über Claude Lanzmann, der erzählte, wie er Shoah drehte, nämlich zumeist als Partisan, das heißt: mit versteckter Kamera, mit Heuchelei, mit Lügen, mit gefälschtem Pass. 12 Jahre lang belog und betrog er alle um sich herum, um diesen Film fertigzustellen. Er war zuvor Widerstandskämpfer, schon mit 17 Jahren kämpfte er. So einer macht so was. Unglaublich. Natürlich größenwahnsinnig geworden, er, der langjährige Liebespartner von Simone de Beauvoir, der Kumpel von Sartre, der (gewesene) Freund von Marcel Ophüls.
Vorhin, in einer erbärmlichen Bäckerei mit einer gellenden Bäckereibeschäftigten, hörte ich einen derzeit populären Song, und im Teigschleimdampf knetete und wiederkäute ich einzig den zähen Gedanken, wie sehr Amerikaner doch den Klang ihrer Sprache lieben, während Deutsche dem Klang misstrauen (und ja meist keinen Dialekt mögen als den eigenen). Draußen ging es mir wieder besser. Las Punpun 12 von Inio Asano – immer wieder großartig, dieser Manga – allein im Zusammenspiel aus fotobasierter Grafik und manuellem Eingriff. Rätselhaft. Ich würde das auch gern können. Kann ich aber nicht. Genauso wenig wie singen. Sterben können, das wäre auch was, was ich gern gut könnte.
28. Januar 2017 11:42
Markus Stegmann
Kaum Platz zum Sitzen die paar
Plastikstühle belegt ältere
Kundschaft vor sich Glas Kaffee
Kopf zurück lehnt sie Kopf
zurück als sei die Luft raus
Neonlichthell beleuchtete Bar Café
was auch immer es hat Kaffee im
Angebot unsichtbar Alkohol und
was hinten noch ist weiss ich nicht
Begrüssung absitzen ausatmen
Giesst heisse Milch dazu serviert
schnell im Gedränge kaum kommt
man aneinander vorbei im
schmucklosen Café einzig du
Madonna aber ohne Dekor
27. Januar 2017 23:12
Gerald Koll
27. Januar 2016, ein Mittwoch
An der Tram, heute morgen gegen 10 Uhr, plötzlich eine Aufwallung von Glück und Leichtigkeit: keine Geldsorgen derzeit, das Gefühl, der Gesellschaft ein Angebot zu machen, aber nicht angewiesen zu sein auf ihren Zuspruch. Aufzucken von Endlichkeitsempfindung, Dankbarkeit für Zeit. Am Alex angekommen, suchte ich das „Lush“ auf, einen Kosmetikshop, der aus cremiger Scheiße Gold macht und als Badebomben und Schaumbäder verkauft. Vielleicht lebt sich’s darin ganz schön.
Frau Gedeck bekommt ihr Bauchgewölbe nicht in Facon. Ich sah sie in Ich bin dann mal weg. Ich fürchte, die Kostümabteilung hat geleistet, was sie konnte. Die Beleuchter müssen sich geradezu abgerackert haben damit, das Gesicht milde zu stimmen. Striesow war auch schon besser in Form. Die Gemeinheit dieses Films aber sitzt viel tiefer. Er beschämt Menschen wie mich. Er ist Menschen peinlich, die den Jakobsweg wirklich mögen. Das Buch war gedanklich bereits schwellenfrei und ebenerdig, nun stampften sie alle noch mal drauf.
So etwas notiere ich also ins Tagebuch! Gerade bei Formulierungen, die gefällig klingen, klingt umso mehr durch, dass ich immer wieder die Pose eines Tagebuchschreibers einnehme und also nur vorgebe, Tagebuch schreiben (und es, ohne es zu wissen, umso mehr tue, aber anders, als ich denke.)
27. Januar 2017 21:54
Hendrik Rost
Werde welcher du bist erfahren
Im Land für Freunde und erschöpfte Feinde,
wer hier lebt, der steht über dem Gesetz,
dass alles, was du tust, jemandem nützt.
Du bist weder der eine noch der andere.
Das Wetter ist schön auch ohne das Volk,
im Wald stehn junge Bäume als Kommentare
auf die alten. Du hast geliebt, und der Erfolg,
dich einzuklinken ins Leben, trägt für Jahre.
Im Land für Freunde und erschöpfte Feinde,
wer dort lebt, der steht über dem Gesetz,
dass alles, was du tust, Reiz ist und Reflex.
Lass gut sein, Pindar. Es ist Wochenende.
Nichts ist entschieden, Athen oder Theben.
Du wirst als eine von allen Fakten leben.
27. Januar 2017 09:34
Gerald Koll
26. Januar 2016, ein Dienstag
Eine recht kurze Nacht nach langem Videoabend mit Better Call Saul (der dann in seiner Tragik, die er um seine tragikomische Figur flocht, zu Herzen geht).
Zum zweiten Mal habe ich Lederstrumpf in der Hörbuchversion gehört, und beim zweiten Mal klang es noch schlechter als beim ersten. Der Leser Wolfgang Gerber liest kurzsichtig, er überblickt selten den ganzen Satz und senkt die Stimme beim Komma so sehr, dass danach ein neuer, unvollständiger Satz beginnt. Er scheint einzig darum bemüht, einzelnen Figuren unterschiedliche Farben zuzuordnen. Aber immer wieder unterlaufen ihm falsche Betonungen, Akzente auf den falschen Wörtern, die die Bedeutung des Textes verzerren. Ein Lesemeister wie Gert Westphal hätte sich das nicht durchgehen lassen. Auch nicht Ulrich Noethen, Hanns Zischler, Peter Matic oder Gerd Wameling. Auch nicht ein Schüler der Mittelstufe, der gern liest.
26. Januar 2017 09:37
Thorsten Krämer
Der Moment im Burgerladen, wenn du aus all den Variablen
endlich die Bestellung formuliert hast, und der Typ hinter der
Theke guckt dich an und sagt: Und du bist? — Ja, was bist du?
Schütze, 45, Vater zweier Kinder und noch vieles mehr, was dir
jetzt durch den Kopf schießt; du stehst da wie blöd und weißt
nicht, was du sagen sollst, bis dir dann klar wird, dass du vor allem
eines bist: zu verpeilt um zu begreifen, dass der Typ nur deinen
Namen wissen will.
25. Januar 2017 16:32