Sylvia Geist

Vanadium

das ist
also der märz. über die schulter geschipptes salz.
giebelrutschen verschlissene wolkendecken der fortgang der übergang der
mmmminseln und wieder
entdecktes land.

zwei- dreimal
der anflug bis die birken werden hellauf flatternde
orgeln den ganzen vorspann widerrufen: das eis das
mmmbblei das weiß
das also

beherzte ampullen
die tönen dass es so ist und zerspringen
blau wie klee grün wie der regen grau
mmmbbwie die beiden
am ufer.

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(schluss mit winterschlaf…)

19. Februar 2010 17:33










Sylvia Geist

„Mannheimer Bestandsaufnahme“…

… nennt Florian Slotawa sein bislang wohl umfangreichstes und umfassendstes Kunstwerk. Dazu listete er sämtliche Gegenstände seines Besitzes auf und fotographierte sie. Und trennte sich dann davon, um die Dinge auf Reisen zu schicken: „Das heißt, der Kühlschrank ist zuhause Kühlschrank, kommt ins Museum, wird zum Material für Skulptur, kommt wieder zurück nach Hause und wird weiterverwendet. Die Gegenstände zirkulieren zwischen Alltagsgebrauch und der Verwendung für Kunst.“
Ein Sammler wollte eine der Skulpturen kaufen, doch da die Gegenstände der „Mannheimer Bestandsaufnahme“ eine Einheit darstellen, kaufte er schließlich den gesamten Besitz Slotawas. Von diesen Dingen, die heute nur noch verpackt ausgestellt werden dürfen und demnach schon in ihrem „Kunstzustand“ im Lager einer Aachener Galerie schlummern, besitzt Slotawa lediglich noch Fotos. „So radikal ist das nicht. Meine Großeltern haben den Krieg überstanden, damals alles verloren und es auch überstanden. Ich denke, wenn man nicht bereit wäre, etwas Radikales zu machen, dürfte man eigentlich keine Kunst machen. Oder andersherum: Die Entscheidung, Kunst zu machen, ist an sich schon einmal eine radikale, und wenn man dazu nicht bereit ist, dann sollte man besser etwas anderes machen.“

Liste 3

25. November 2009 18:55










Sylvia Geist

Wiederfund (11): Die Metterling-Listen

„Der Verlag Feil & Söhne hat endlich den lang erwarteten ersten Band der Wäschelisten Metterlings (Die gesammelten Wäschelisten Hans Metterlings, Band I, 437 Seiten, XXXII Seiten Einleitung, Register, DM 39,50) mit dem fundierten Kommentar des bekannten Metterling-Schülers Günther Eisenbud veröffentlicht. Die Entscheidung, dieses Werk getrennt und vor Abschluß des gewaltigen vierbändigen Oeuvres herauszubringen, ist so erfreulich wie vernünftig, wird doch dieses eigensinnige und schillernde Buch im Nu die ekelhaften Gerüchte aus der Welt schaffen, Feil & Söhne wollten, nachdem sie mit den Romanen, dem Theaterstück und den Notizen, Tagebüchern und Briefen Metterlings guten Gewinn gemacht hätten, bloß versuchen, weiter Gold aus derselben Ader zu schlagen. Wie unrecht diese Intriganten hatten! Fürwahr, schon die erste Wäscheliste Metterlings

Liste Nr. 1
6 Unterhosen
4 Unterhemden
6 Paar blaue Socken
4 blaue Oberhemden
2 weiße Oberhemden
6 Taschentücher
Bitte nicht stärken!

macht uns auf vollkommene, geradezu totale Weise mit diesem geplagten Genie bekannt, das seinen Zeitgenossen als der „Irre von Prag“ ein Begriff war. (…)“

Und so geht es weiter in dem rororo-Bändchen 4574, das 1995 unter dem Titel Wie du dir, so ich mir einige Stories Woody Allens versammelte. Natürlich wagt sich Allen auch an diverse Projekte zur Sinnfindung und allgemeinen Daseinsorientierung, z.B. in Form eines Volkshochschulprogramms (Das Frühjahrsprogramm), in dessen Philosophiekursangebot es u.a. heißt: „Erkenntnislehre: Ist das Wissen wissbar? Wenn nicht, wie können wir das wissen?“ Ich kramte das Büchlein vor ein paar Tagen wieder heraus, übrigens nachdem mich ein Werbespot – „…das Große, die Dose, die Rose – mach´es zu deinem Projekt!“ – daran erinnert hatte.

Liste 2

9. November 2009 12:31










Sylvia Geist

Tüten

8 geräumige weiße Tüten für Kleidung, die man irgendwann tunlichst vergessen hatte
5 ebensolche Tüten für Kleidung, die ein anderer tunlichst vergessen hatte

1 große graue Tüte für Steine aus Dänemark
1 starke graue Tüte für Steine aus Spanien
1 weitere graue Tüte für Ost- und Nordseesteine
1 Tüte noch für Steine von anderswo

(1 kleine Tüte für 1 schmalen schwarzen, 1 runden weißen, 1 froschförmigen, 1 sehr merkwürdigen, 1 porösen & 1 durchsichtigen Stein)

ca. 20 transparente Tüten für Einkaufsbons, Rechnungen, Garantie- & Reparaturscheine, Kontoauszüge, Steuererklärungen, Steuerbescheide, Kalender, Zeitplaner, Zeitungen, Magazine, Notizblöcke, Anschreiben, Zuschriften, Rundbriefe, Werbebriefe & Broschüren, blöde Briefe, böse Briefe, gutgemeinte Briefe, verrückte Briefe (alle selbstgeschrieben), Ausdrucke aller Art, Wettscheine, Gutscheine, Fahrscheine, Versicherungsscheine (abgelaufen), 1 Rezeptsammlung (nie ausprobiert), Geschenkpapier, bebildertes Papier, unverständliches Papier, undefinierbares Papier, Papierschnipsel, Locherkonfetti

(1 schöne Tüte aus Papier für 21 Fotographien, 3 Mappen mit Kinderzeichnungen, Unverzichtbares, außerdem 2 Bescheinigungen, 1 Geburtsurkunde)

Liste 1

26. Oktober 2009 14:47










Sylvia Geist

Was ist Wirkung?

fragte Herta Müller im Verlauf eines Gesprächs, das gestern im Rahmen der Sendung Kulturzeit zu sehen und zu hören war.
Solche Gespräche gehören sonst eigentlich nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeiträgen. Aber es war gar kein „solches Gespräch“. Der grandiose Ernst Granditz stellte die Fragen, das war mal das eine. Granditz steht für einen Respekt vor dem Gegenüber, der sich in unbeirrbarer Höflichkeit ausdrückt, oder auch: in formvollendeter Freundlichkeit, unabhängig von der inhaltlichen Schärfe manch einer Frage und selbstverständlich ohne Ansehen der Person. Dabei hat die Eleganz seiner Gesprächsführung mit glatter Schlagfertigkeit nicht das geringste zu tun. Und natürlich sind auch ihm schon Versprecher unterlaufen, doch ins Stottern kommt er nicht. Ich jedenfalls habe ihn noch nie irritiert gesehen.
Gestern nun traf dieser König der Kulturmoderatoren auf Herta Müller, und auch dieses Gespräch führte er, wie man es erwarten durfte, klug und zurückhaltend wie stets. In den ersten fünfzehn Minuten erfuhr man Interessantes, doch so gut wie nichts Neues. Dann der seltene Moment. Granditz verblüfft. Mehr als das, einer Frage nachlauschend – vor laufender Kamera. Wie genau seine Frage gelautet hat, weiß ich nicht mehr, sie ist hinter Müllers Gegenfrage verschwunden: Was ist Wirkung? Was meinen Sie damit?
Dass Granditz nach etwa zwei Sekunden zu einer Präzisierung seiner Formulierung ansetzte, konnte den wunderbaren Eindruck nicht mehr ernstlich stören. Hier hatte ein winziges Zahnrad gestreikt, war ein ganz zerbrechlicher Hebel auf „stop“ gedreht worden. Was ist Wirkung? Nun, was Autoren erreichen wollen, was Sie beim Schreiben… Ja, was will man damit? Und: was bilde ich mir eigentlich ein? Das habe sie sich schon oft gefragt. An dieser Stelle beginnt die Maschine wieder zu laufen. Aber man spürt es noch. Granditz hat eine echte Frage gestellt, eine, auf die er die Antwort nicht schon vorher kannte, und sie erweitert zurückbekommen. Sein Lächeln, während er – ganz kurz nur – nach Ergänzungen sucht, nach dem Fortgang des Interviews, hätte viele schöne Adjektive verdient. Überrascht, verunsichert, mitgenommen in diese kleine, aber andere Wendung, und erfreut darüber. Das ist eine Wirkung.

16. Oktober 2009 12:48










Sylvia Geist

Gewendetes Gelände

© Kai Geist

15. September 2009 12:02










Sylvia Geist

Serendip

Gleich hinter der Wasserfront
beginnt die Fahrt nach Indien,
übersetzt in erst gestern

der Abzweig, den man übersehen kann,
weiter die Stelle, wo es Beeren gibt
statt der ersehnten Raben.

Mit dem Aroma einer verschenkten
Mühe, genauer: von Brombeeren aber
wird es an einen Findling gelehnt leichter

Schlaf, der die Augen vergessen lässt,
dass sie geschlossen nicht sehen, und bis
heute fällt in Cambridge ein Apfel ins Gras.

25. August 2009 20:02










Sylvia Geist

Gewendetes Gelände

Gewendetes Gelände 2 © Kai Geist

© Kai Geist

18. August 2009 19:53










Sylvia Geist

Gewendetes Gelände

© Kai Geist

22. Juli 2009 19:51










Sylvia Geist

Silicium

wandwuchs als
würde morgen mit sand geflogen und auf zukunfts
asche gesiedelt. silo schwebgarten

haus: jeder
aushub ein sog der möglichkeiten negativ einer lawine.
wen ließ los was

einmal rollte?
wann? vater lehm ist gesellig in den schachteln
den wohnhalmen wankt wind.

keine frage
gibt er lieber zurück als die von kies
im zement. rieselnd. silent.

3. Juli 2009 10:09