Björn Kiehne
Fast Mittag,
es ist heiß.
Der Fan an der Decke
dreht sich über mir
wie das Samsara,
mischt Tabla-Schläge
in die Melodie der Straße:
Hupen,
aufheulende Motoren,
Bollywood-Songs,
die aus den Autoradios torkeln
wie Betrunkene –
Lieder,
wie rückwärts gesungen
bis zum ersten Ton,
und weiter
in die Stille
dahinter.
30. März 2025 09:30
Björn Kiehne
Die Sonne wird auf-
und untergehen,
Ebbe und Flut
die Inseln umspülen.
Atmen, Sprechen,
Schweigen, Dinge tun,
sein lassen.
Den sicheren Ort suchen,
den Weltrettern
zuvorkommen.
Mit den Wolken steigen,
durchsichtiger,
sorgloser, klarer.
Hier die Stille,
dort die Worte,
Trittsteine im Fluss
der Zeit.
1. Januar 2025 19:40
Björn Kiehne
Aus den Buchenwäldern
fließt das Gold in die Stadt.
Die Bächle tragen es auf Barken
in die Klinik, wo ich
kaum wage, die Tür zu öffnen.
Ich drücke die Klinke
gegen meinen inneren Widerstand,
blicke in den Raum dahinter.
Das Herbstlicht lässt sein Haar,
von der Chemo schütter, leuchten.
Er war aus Rumänien eingewandert,
hatte sich am südlichen Schwarzwaldrand
ein neues Leben aufgebaut,
eine Frau gefunden,
ein Kind mit ihr bekommen.
Täglich löse ich mit einem Wattestäbchen
vorsichtig die Borken von den Innenwänden
seiner rechten Augenhöhle.
Den Augapfel hat man entfernt,
da der Tumor dahinter wächst.
Irgendwoher nimmt er die Kraft,
seiner Frau den Arm
über die Schulter zu legen.
Sie lächeln beide,
während das Kind zufrieden
an ihrer nackten Brust schmatzt.
Wir ernähren ihn nun seit Tagen,
ohne Hoffnung auf Heilung.
Als starken Mann hatte ich ihn aufgenommen,
Maler und Lackierer,
der über meine Fragen lachte.
Nun halten wir ihn nur noch am Leben.
Aus dem Rahmen der Tür,
der mich sicher in der Welt hält,
betrachte ich:
Den mageren Arm um seine Frau,
sein golden leuchtendes Haar,
den friedlichen Säugling.
Wie halten, ohne festzuhalten?
Wie leben?
28. November 2024 10:07
Björn Kiehne
Ich setze mich zu den Männern ins Café,
die Sonne wärmt den Platz und mein Knie,
das noch vom Spaziergang schmerzt.
„Jetzt bin ich alt“, denke ich bei mir.
Eine Möwe fliegt über den See, nimmt meine
Gedanken mit zu Anand, der im Tropeninstitut
an einem Virus starb, das seine Leber aushöhlte,
bis sie nichts mehr war als ein nutzloser Schwamm;
zu Nyan-Soe, der daran starb, dass er liebte.
Die Lungenentzündung nahm ihm die Luft zum Atmen,
mein Geld für seine Behandlung bezahlte die
burmesische Bestattung mit Mönch und Feuerwerk;
zu Roberto, der TikTok mit Videos füllte.
Ein Weichteiltumor, nussgroß, streute die
hungrigen Kinder in seinem Körper; vor den
Augen der Familie fraßen sie ihn langsam auf.
Die Möwe kehrt zurück über den See.
„Alle, die ich liebe, werde ich verlieren“,
denke ich bei mir, blinzle in die Sonne,
nicke dem Tod zu und trinke meinen Tee.
15. Oktober 2024 23:31
Björn Kiehne
Im Abendlicht,
das das Zimmer gelb,
und die Adern auf
deinen Armen blau wie
Flüsse leuchten lässt,
erinnere ich mich an dich:
du, umgeben von Rauch,
wie ein griechisches Orakel,
das Kartoffelpuffer macht,
wie du den Schiedsrichter
im Fernseher anschreist,
empört darüber, dass er
das Foul nicht sieht
und in deinem Sessel
mit langen Nadeln
bedeutungsvolle Muster
in meinen Pullover strickst.
Nun drückst du meine Hand,
legst die Fäden nieder,
verstrickst sie nicht,
lässt die Flüsse herzwärts
fließen und mich im Abendlicht.
11. August 2024 17:38
Björn Kiehne
Sonntagmorgen, die Clubs sind zu,
auf der Autobahn rauscht kein Verkehr,
nur die Blätter der Pappel im Hof
rauschen wie ein endloses Meer.
Auf dem Küchentisch liegen Wörter,
fein säuberlich geschnitten aus Papier,
bilden Sätze, Zeilen, Geschichten,
über die Welt, erzählt von dir und mir.
Eine Amsel singt, eine andere antwortet,
wir ahnen, wir glauben, wissen schon,
unsere Gedanken auf ihren Liedern,
die Welt, ein verhallender Ton.
16. Juni 2024 06:22
Björn Kiehne

In den Morgenstunden, als ich
dein Kind war, hielt ich das Ohr
dicht an die Erde,
hörte ein Rauschen.
Musste lernen, allein zu sein,
um ihnen zu lauschen,
an ihren Ufern zu gehen,
die niemand sah außer mir.
Die Gedanken gingen mit,
dass aus mir nichts wird,
ich niemandem genüge, stecken-
bleibe in meinen Möglichkeiten.
Aber auch die Ahnung,
dass die Welt einen Riss
hat, durch den ein
Versprechen flüstert:
Da sind Flüsse,
die auf dich warten
und ein Meer.
Da sind Flüsse,
die auf dich warten
und ein Meer.
Da sind Flüsse,
die auf dich warten
und ein Meer.
Dedicado a Moisés Gutiérrez Medina, +2024, que partió en busca de los ríos invisibles.
8. April 2024 07:50
Björn Kiehne
Wenn alle gehen,
bleiben nur wir übrig
und der Wunsch,
einen sicheren Ort
im anderen zu finden.
Wir können dann nah
am Meer leben und
den Wellen erlauben,
unsere Herzen
zu überspülen nur,
um sich gleich
wieder zurückzuziehen.
Wir finden einen Ort,
an dem Platz für dich und
mich und die ganze Welt ist,
und bitten die Wellen,
uns ihre salzige Tinte zu leihen,
um von uns zu erzählen.
27. Januar 2024 02:28
Björn Kiehne
Einmal werde ich sicher sein,
dass es einfach ist,
dass in der Tasse vor mir,
Nord- und Ostsee zusammenfließen
und Dampf aufsteigt wie Nebel
in den Dünen,
einmal werde ich sicher sein,
dass hier und jetzt alles und alle
anwesend sind, auch du, mit
den herantreibenden Wolken
im Blick und Strandhafer im Haar,
wie du mit deinen Kiefernhänden
Salz aus dem Wind kämmst
und uns das Meer herbeirufst,
einmal werde ich wissen,
dass es einfach ist.
27. Oktober 2023 13:00