Mirko Bonné

Es ist ein Feuer

Es ist ein Feuer
Die Träume ziehen vorüber
Die Erlösung die ich mir wünsche
zieht mich zu Boden

Denn wir müssen
Fehler erkennen
jetzt und wieder

Also für das woran wir glauben legt es offen
warum es scheitern sollte, wüsste ich nicht

Denn das Leben ist eine Farce
ich kann durch Masken nicht atmen
wie ein Idiot
Deshalb weiter, Schwester, atme weiter

Von diesem Einen
zeuge oder erzähle
Jetzt narrt es uns nur

Also für das woran wir glauben legt es offen
warum es scheitern sollte, wüsste ich nicht

Denn das Leben ist eine Farce
ich kann durch Masken nicht atmen
wie ein Idiot
Deshalb weiter, Schwesterlein, atme weiter
oh atme weiter, Schwesterlein, wie ein Idiot

Portishead

*

Album (2): 2003

*

19. Februar 2010 18:32










Mirko Bonné

In the Mood

Wir fuhren hinauf nach Montemurlo
zu viert in Angelos blauem Golf
ein Abend unter den Amseln
etwas war an den Bäumen (
sie waren alberi, keine Bäume
merli saßen darauf und sangen)
das schwang sich auf in die Luft
weiter hinein in den Körper und
war für einen Moment etwas anderes

Ich hatte ein Stereotape gefunden
nachts an einem Straßenrand in Prato
Nat King Cole e Glenn Miller, Orosk 041
und S.I.A.E. war vielleicht eine Marke
weich, sehr weich ein Zusammenschnitt (
auf der Fahrt zu dem abgelegenen Bergort
ließen wir ihn durch den Rekorder schnarren
Nacht, Bewegung, Brisen und Konfiguration)
O Radiodiffusione who who who may know

*

Album (1): 1994

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29. Januar 2010 12:57










Mirko Bonné

Reise der drei Waisen

all this was folly
T.S. Eliot, Journey of the Magi

Waisen nannten sich die Drei, die mich mitnahmen,
willkommen bei den Waisen aus dem Gutenmorgenland!
Sie führten sich auf wie gerade noch davongekommen.

Die Wege aufgeweicht, der reinste Softie, das Wetter,
meinte das Mädchen, das der Alte bloß Bunny nannte.

Sein Kollege saß vorn, im Mantel eines Spaniers,
dessen Leichnam jetzt in einer Benzinlache liege,
irgendwo in einer Kranwagenhalle. Der Stoff stank,
besonders nachts, wenn sie die Heizung aufdrehten.

Sie waren Blender, und nichts gehörte ihnen außer
dem Zeug, das sie am Körper trugen, und dem Zeug,
das sie sagten und ihnen die Langeweile vertrieb.

An was sich erinnern, fragte der Alte mal, alles
ist ein Film, rückwärts läuft gar nichts. Besser,
in einem schrottreifen Toyota auf Schleichwegen
und hinein in Ortschaften fahren, wo der Trübsinn
einen anfraß wie Grus wegschmelzenden Pappschnee.

Bunny kreischte etwas, was niemand verstand,
sie sprang raus und steckte vor einer Videothek
den Pappmann in Brand. Von dem Grünstreifen
zwischen zwei Parkbuchten stoben Insekten auf,
als sie dort tanzte, während wir bloß zusahen.

Der Alte stieß die Fahrertüre auf, stieg aus und
trat den verkohlten Kinohelden wortlos zusammen.

Ich fing an zu brüllen wie sie, aber dozierte
dabei noch immer von Passage zurück in die Geburt,
und sofort lachte mich der Klub still. Wir fuhren
durch leergefegte Nester ins Bergland hinauf, feucht,
knapp unterhalb der Schneegrenze, duftend nach Grün.

Auf der Suche nach einer Tankstelle mischten sie
die Dörfer der Katzenbesitzer auf und beschlossen
(oberste Regel: Sonnenbaden ist für Untote tabu),
tagsüber zu schlafen, in der Nähe von Wasser, und
nachts zu fahren, süßlich singende Stimmen im Ohr.

Doch was sie sagten, bedeutete nichts, ihr Ziel
war vielleicht eine Huldigung, wohl kaum aber
die Huldigung eines Kindes, eher die ihrer Leere.
War der Tank voll wie die Sonne, ging es weiter.

Kurz vorm Festfressen der Kolben, kurz bevor wir
zu dem Hafen kamen und im Schatten, den ein Frachter
durchs Nachmittagslicht auf die Mole warf, hielten,
fiel dem Alten am Steuer plötzlich das Haus ein.

Für das Mädchen und Mantelmann war die Reise zu Ende,
als sie Betten witterten. Das Land, endlich war es da.

Ein Klepper leckte den Regen vom Zaun. Ich sah Vögel
auf alten Bäumen, sie hackten den Harsch von der Rinde.

Als gäbe es eine Wahl, schnitten wir uns Teller zurecht
und hörten wieder zu reden auf. Im Tausch mit den Bauern
gingen Schals weg, Posaunen, und der Alte holte Lexika,
Tassen und Fotobände aus dem Kofferraum, während Bunny
morgens im Schneeanzug am Campingtisch Pasta kochte.

Sie kam in mein Bett und sagte, sie würde es tun mit mir,
wenn ich ihr meine Lederjacke gäbe. Ich gab sie ihr so,
sie rannte runter, und ich hörte unten den Anlasser heulen.

Als ich wieder aufwachte, war es still. Das Licht fiel
durchs Klappfenster. Im Garten des Nachbarhofs standen
Blumen und sahen aus, als fotografierten sie das Gras.

Geborenwerden und Sterben sind manchmal eins, dachte ich
und wünschte mich nicht länger zurück. Ich lebte wieder.
Leben war mehr als Warten, und so vergaß ich das Kind,
vergaß die drei Waisen und zuletzt das Gutenmorgenland.

*

6. Januar 2010 17:11










Mirko Bonné

In Venedig als Taube

Ich glaube, sie sind
eine Maske, die flattert,
flattert und fliegt: So gelassen
hektisch sein, schwirren, knapp
über die Leute hin, die Kameras
durchs Geplätscher der Spiegel
schieben. Ich glaube, als Taube,
in Venedig als Taube würde ich
dir aufs Schulterblatt segeln,
und ich würde für immer
deine Keksehandtasche lieben.

Falsch, zu glauben,
nur auf Kringel sind sie aus.
Ich glaube, man verkennt Tauben
in diesem Licht, wo selbst Brodsky
die Macht des Auges verkannt hat:
Es sieht die Maske, es flattert mit,
flattert flügellahm. Ich glaube,
Tizian schasste Tintoretto,
als der Augen bekam.
Trakl fuhr Dampfvaporetto,
er hasste das alles und litt.

Ich glaube, es ist
dem gereimten Taubenschlag
nichts hinzuzufügen, keine Spur
zu hinterlassen außer den Kippen
der abendlichen Runde übers Ufer
der Barmherzigkeit. 500 Jahre lang
Geisterstunde, und es wird nicht
Zeit. Dort das zerfetzte Segel,
man könnte glatt glauben,
eine Galeasse fährt ins Arsenal.
Wildes Geflatter im Lagunensaal.

*

Allen Lesern, allen Fischen schöne Festtage. Schützt die Flamme!

*

23. Dezember 2009 13:54










Mirko Bonné

Mumia Abu Jamal

Liebe Kollegen, liebe Leser,

ich mache Auszüge einer Nachricht der PEN-Beauftragten Sabine Kebir öffentlich und bitte herzlich um eure Unterstützung.

Herzlich grüßt euch

Mirko

„Im April 2009 hatte der Supreme Court der USA entschieden, dass Mumia Abu Jamal kein neues Gerichtsverfahren bekommen wird, für das sich eine weltweite Bewegung, darunter auch der PEN, eingesetzt hatte. Nachdem die Sommerpause des Supreme Court am 5. Oktober zuende ging, ist täglich mit der Juryentscheidung zu rechnen, in der es nur noch darum geht, ob die Todesstrafe für Abu Jamal bestätigt oder ob sie in lebenslange Haft umgewandelt wird.
Der Anwalt Robert Bryan hat schon lange darauf hingewiesen, keine allzu großen Hoffnungen auf Präsident Obama zu setzen, der mit Rücksicht auf die starken konservativen Kräfte in der Wählerschaft sich auch im Wahlkampf für die Todesstrafe ausgesprochen, sogar für ihre Ausweitung auf Sexualstraftaten mit Kindern ausgesprochen hatte. Leider ist die gegenwärtige innenpolitische Lage in den USA selbst nicht geeignet, um allzu große Hoffnungen auf eine Positionsänderung zu wecken. Robert Bryan setzt eigentlich seine Hoffnung vor allem auf die Mobilisierung im Ausland, wobei Deutschland eine wichtige Rolle spielt. Leider war der Artikel im Spiegel vom 24. August sehr kontraproduktiv.
Abu Jamal und Bryan haben gemeinsam beschlossen, die im Frühjahr in der Akademie der Künste durch Bryan angekündigte online-Petition an Obama erst jetzt, im Herbst, zu starten. Sie wird bald öffentlich gemacht.
Ich informiere Euch darüber, dass das Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal für einen dezentralen Aktionstag mobilisiert und zwar am 3. Tag nach der leider nun möglich gewordenen Bekanntgabe des Todesurteils. Des Weiteren ruft es auf für eine bundesweite Demonstration am letzten Samstag vor dem Hinrichtungstermin. Informationen darüber unter:
www.mumia-hoerbuch.de
Obwohl Formen und oft auch Inhalte von Teilen der Unterstützungsbewegung für Abu-Jamal oft nicht mit denen übereinstimmen, die der PEN pflegt, kann sich jeder überlegen, ob er diese Initiativen individuell durch Unterschrift (bitte nicht über mich unterschreiben, sondern gegebenenfalls direkt über den Link zur Petition an den amerikanischen Justizminister, den man schnell auf www.mumia-hoerbuch.de findet) oder/und Teilnahme an Demonstrationen unterstützen will. Tatsächlich gehören ihr nur noch wenige bürgerliche Kräfte an. Mme Mitterand hatte in ihrer Rede auf unserer Akademie-Veranstaltung für Abu-Jamal aber hervorgehoben, dass er ohne diese breite Unterstützerbewegung wahrscheinlich schon hingerichtet worden wäre. Sie und Bryan meinten auch, dass Demonstrationen vor amerikanischen Botschaften bislang die wirkungsvollsten Mittel gewesen sind, in dem Fall etwas zu erreichen. Das liegt scheinbar daran, dass die Unterstützung für Abu-Jamal im Ausland größer ist als in den USA (wo eben die Todesstrafe noch für viel zu selbstverständlich hingenommen wird, insbesondere auch in der jetzigen Krise, wo jeder mit sich selbst zu tun hat) und die amerikanischen Diplomaten darüber aber sehr erstaunt sind.
Sobald die Petition des Anwalts an Obama da ist, werde ich Euch ebenfalls unterrichten wie auch über alles andere, was mir in diesem Fall wichtig erscheint.

Mit besten Grüßen
Sabine Kebir“

*

12. Oktober 2009 10:07










Mirko Bonné

Kleiner Totenbote

An Joseph Brodsky,
Friedhof San Michele, Venedig

Die Lagunenmücke,
die mich stach
an Deinem Grab,
ist schon bei Dir.

*

30. September 2009 10:32










Mirko Bonné

Grippewelle

Im Hafenbecken brennt
ein Stückgutfrachter,
und die Crew,
die keiner kennt,
die singt.
Was Wunder, du,
was Wunder, wenn
auf der Mole der Beobachter
Herr Dr. Benn
so nihilistisch klingt:
Ein Volk, das untergeht,
muss Lieder spielen –

Tatsächlich? Spät!
Ein ganzer Chor versinkt.
Gesangslaufbahnen scheitern.
Kein Taschentuch, das winkt,
weil alle Nasennebenhöhlen
röcheln und vereitern.

*

5. September 2009 10:59










Mirko Bonné

Prinsentuin

alles van waarde is weerloos
Lucebert

Alles Wertvolle ist wehrlos,
24 riesige Leuchtbuchstaben
auf einem Versicherungsgebäude
in der Nacht über Rotterdam,

inzwischen stehen sie bestimmt,
vielbestaunt, unter Denkmalschutz,
einmal im Monat steigt einer hinauf
und prüft Schweißnähte und Strom.

Oder sie wurden abgerissen, wehrlos,
aber was heißt das, da die Poesie
auf Erden nie tot ist. In Amsterdam
rollten ein Jahr lang die Müllwagen

beklebt mit Gedichten durch die Stadt,
und zu Lesungen, für die sie warben,
an den Grachten unter Zitterpappeln,
kamen auch Müllmänner in Scharen.

Einmal stand ich am Ufer der Aa
in Groningen vor einer Hebebrücke,
und als sie hochfuhr, war ein Vers
von Kopland auf dem Stahl zu lesen,

die Dinge sind nicht, wie sie zu sein
scheinen, aber sind auch nicht anders.
Was sind sie, fragte ich mich dann
auf der Brücke, wehrlos, wertvoll,

und fand die Antwort an der Wand
des Pissoirs im Prinsentuin: Poesie
ist alles, selbst was zu Poesie
erklärt wird, ist schon Poesie.

*

15. August 2009 14:54










Mirko Bonné

Die Kinder der Sommerinseln

The ball I threw while playing in the park
Has not yet reached the ground.

Dylan Thomas

Hier sah ich im Scheinwerferlicht die Nacht;
ich war ihre unsichere Mitte, elf oder zwölf,
pflügte auf dröhnenden Gefährten Dunkel um
und verschlang am Tisch der Bauern zu Mittag
Kaninchen. Wir waren Sommerinselkinder,
gelandet mit den Glanzstaren aus Afrika;
Ameisen im Fleisch, in Venen die Scheu,
türmte ich Strohbarren auf Goldstoppelfelder.

Hier fuhren wir mit Rucksäcken zur See;
als Küste bauten wir das Zelt in den Regen
und lasen, 16, 17, zu Dosenravioli Fern Hill.
Fähren hießen nach Präsidenten und Prinzen
und setzten uns jährlich von hier über den Belt
nach Seeland mit Ziel Kattegat; wo Meer war,
wird wieder Meer werden, schrieb ich ins Blaue
und nahm die Insel mit auf jede neue Insel.

Immer noch landen hier Zugvögel und fliegen
Wetter heran und vorbei; nicht alt, nicht jung, 44,
spiel ich im Kleegras unter dem Schwalbentor
Raubtierfütterung mit den Kleinen, altes Brot
den Kaninchen. Die große Brücke wird gebaut,
der Kongo kauft die Schiffe, Durchgangsverkehr
schleust die Kinder der Sommerinseln vorüber
ins Licht; Fehmarn farvel! Hier lag die Nacht.

*

5. August 2009 10:08










Mirko Bonné

Auskünfte einer Echse

Im New Yorker Metropolitan Museum

Was bist du für ein merkwürdiges Ding,
dort auf dem Fuß dieser Marmorfigur?
Sie hat keinen Kopf und keine Arme,
aber Brüste, eine Scham, und steinern
schimmert alles durch Gaze aus Stein.
Würdest du mich ansehen statt nur sie,
du wüßtest, was ich bin.
Du scheinst mir
eine Eidechse zu sein, aber eine blaue?
Ich bin ein Gecko. Richtig, ein Gecko,
allerdings aus Plastik. Was tust du da,
auf dem Fuß von – wer ist sie? Aphrodite.
Ganz Kluge nennen sie Venus Genetrix.
Was soll ich schon tun? Ich liege, warte,
und ich bin nicht aus Plastik.
Sondern?
Aus Gummi. Darf man dich anfassen?
Mich ja, sie nicht, sonst kommen Wärter.
Ist sie sehr alt? 1900 Jahre, fast. Und du?
Fabrikware, Shanghai. Da ist nichts alt.
Wer hat … sie geschaffen, meinst du?
Lies, was da steht.
In Bronze goss sie
Kallimachos etwa 500 v. Chr., in Stein
kopierte sie ein Römer, wer, unbekannt.
Sie wurde oft kopiert, jedoch nicht so oft
wie ich. Mich gibt es acht Millionen Mal,
ungefähr.
Wer hat, wollte ich wissen, dich
hier liegen lassen? Ein kleines Mädchen.
Bestimmt weint es jetzt. Mandy Polasky?
Nein. Es war ihre Entscheidung. Aphrodite
sollte nicht einsam sein, und in dem Kiosk
im Bronx Zoo kauft mich ihre Mutter neu,
keine Sorge.
In der Bronx? Für drei Dollar
gibt es mich in jedem Zooladen zu kaufen.

Hergestellt wirst du für 10 Cent, mehr nicht,
schätz ich. 13 Cent. Die Verschiffung treibt
den Preis in die Höhe.
Geckos fliegen nicht?
In Schiffscontainer passe ich eine Million Mal.
Warum sieht dein Schwanz wie ein Blatt aus?
Weil ich ein Blattschwanzgecko bin. Nie gehört?
Nein. Uroplatus. Irgendwie kann ich die Augen
nicht von ihrem Umhang lassen. Ganz als wäre
die Luft ein Windhauch aus Stein. Ist ihr Chiton,
das Unterkleid. Früher, als sie noch Hände hatte,
hob sie den Zipfel ihres Umhangs, den Himation,
mit der Rechten an.
Und ihre Linke? Die hielt –
was wohl?
Einen blauen Gecko. Einen Apfel.
Ob sie wohl je so was wie dich gesehen hat?
Blattschwanzgeckos leben auf Madagaskar.
Du hast Schlitzpupillen. Um die Zeit die Welt
zerteilen zu sehen.
Und kugelförmige Zehen!
Sind Haftzehen. Würde ich leben, ich könnte
am Fenster Gottes kleben und schlafen, blau,
wie ich bin.
Ja, warum bist du eigentlich blau.
Blick durch die Urwaldwipfel auf Madagaskar,
und, was meinst du, sieht man am Horizont?

Noch mehr Wald? Afrika! Den blauen Ozean.
Komm, ich nehm dich mit, ich bin aus Europa,
von Hamburg ist es nicht weit bis nach Athen.
Lass mich liegen, ich warte lieber. Auf wen?
Etwa Mandy Polasky? Worauf auch immer.

*

13. Juli 2009 11:58