Hendrik Rost

Lautmalerei

Das ist ein Pingpongschläger,
das ist ein Tod.
Das ist ein Spielkamerad,
der sich in den Schädel schoss,
das ein Gesicht der Mutter,
in das ich nie mehr blickte,
ohne auf den Punkt zwischen
ihren Augen zu starren.
Das sind Falten dort und das
Geflecht, das sie bilden.
Das ist Intuition, die dort sitzt.
Das die Schnittstelle zum Kosmos.
Das ist es und nichts anderes.
Das ist ein Ping, das ein Pong.
Das ist kein Tod.

19. Juni 2012 07:57










Hans Thill

Das Gesetz der Wiese (Hombroich)

Die Vögel tragen die Schrift in ihren Gedärmen, Kerne der Gräser, die
in Kapseln wohnten. Der Jet pflügt das Feld des niederhängenden Himmels
über der Raketenstation. (Euander kam und hat das alles bracht, Buchstaben,
Pfeile aus jedem Holz). Aus den Gehäusen regt sich die bewegliche, digitale

Fingerschrift, unleserlich. Die Oberraben tragen die Schrift in ihrem
Gefieder über die niedrigen Bruchgefilde, Kletten, die sich klammern in der
Feberkälte. Jedem Kern das Kerlchen eingraviert (altfränkisch Kamerad)
als Bildnis im Gehäus, der celloblaue Mädchen sieht, Tiere der Wiese,

Pygmäenlatein. Die starren Beinchen der Wörter. An ihrem harigen Bauch
tragen die Vögel die raschen Milben. Aus der Tastatur kommen die Wörter
gekrochen, nachts, wenn der Fellow schläft. Das heiße Fleisch
der Wörter (Queneau) die Beinchen der Schrift, die sich von selber schreibt

in den Bildschirmnächten anderswo, da eine Einbeinleiter lehnt. Die Wiese
wächst. Den inneren Insekten Glauben schenken. Durchs Löwenmaul
geschaut und Staub und Stadt geworden. Hieronymos im falschen Rock
sät Rüben oder Raps, der Löwe passt auf den Esel auf. Er wurde nie

vom Sand gebissen, wie Pistenväter mit dem einen kalten Blatt.
Château des Pauvres (Éluard), die Armenkiste, Kloster der Schrift.
Pomo:na Norf Schlich und was noch alles. Watt. Nicht kothig sondern
weiß von Alter oder Schimmel (Soltau). Die Milben sind zurück

im Schlüsselbrett. Die Rehe am Cap Gris Nez trinken Beton aus der
Mischmaschine, es war nur ein knapper Frost, der Innenbienen und ihre
Beine schont. Die Hexenhasel besser nicht beschneiden. Die Wörter
sind mal Holz mal Stab mal Stachel in der Pfote? Das wußte nicht der

gelbe Archipluto, das wissen nicht Leiris und Ponge, nicht lockige
Propheten, von steifen Blättern als Gesetz zu lesen, schon gar nicht Donne,
gerastert nasalierend grau (»das Licht hat keine Zungen«). Das wissen
allenfalls die leisen Obelisken wie der Everest, in dem Raketen neben Pfeilen

Willkommen Carolin Callies!

18. Juni 2012 22:32










Carolin Callies

zu fischen beginnen

fahrenheit, molen, die blanke & meer,
finister, das holzbrett &
chiemen & schlieren &
meterlang bergend, das fischwaide tau*

* Ein see, der friert sich zu,
dem mangelts an fischen,
die ahmen die kiemen
an unterständen nur nach

aus: „instant fisherman“

18. Juni 2012 21:09










Mirko Bonné

Als Belgien furchtbar war

Als es darum ging, etwas
zu sagen. Als wir hineinstarrten
in das Himbeergebüsch. Als keine,
keine Antwort kam. Als die Nacht
nicht aufhören wollte. Als sie
aufhörte ohne Klagen. Als
die Schmerzen nachließen,
als keiner mehr etwas wusste
gegen Schmerz. Als ich wieder nur
dich liebte. Als du mich fast vergaßt.
Als die Kirchen einstürzten. Als er starb,
der Elefant, der Angst hatte vor der Umsiedlung
nach Belgien. Als wir endlich verstanden,
warum. Als einer das Gras mähte.
Als das Gras weiterwuchs.

*

16. Juni 2012 23:24










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (24)

Da wischte sie mit der Fläche ihrer rechten Hand so schnell über ihre linke, dass ein Geräusch entstand, als schleife sie und wetze sie, als schnitte sie dem Dienenden durch seine Stirn. Zu verstehen gab sie ihm, der vor ihr stand mit Topf und Kelle, es sei genug nun, er solle weiter seine Runde ziehen und den nächsten Gast bewirten. Läge ihr Löffel in der Schale, hieße es, sie verzichte ganz. Hätte sie zu wischen verzichtet, hätte er die Schale bis zum Rand gefüllt. Diese Zeichen waren verbindlich für den Umgang ohne Worte, denn stumm war das Sesshin. Nicht aber abgemacht war, wie man wischte, ob scharf, ob sanft, wenn man sich entschied zu wischen. Es gab Gäste, weibliche Japanerinnen, die so zart die Hände aneinander rieben, als wäre es ein Fächeln und ein Kosen. Und es gab ein Wischen, dass die Schneide schliff und dessen Klarheit sich mit einer Guillotine messen konnte. Dies war das Wischen einer Russin vom Ural.
Zerschnitten waren alle Bilder, die eben gerade in der Sitzung noch so deutlich schienen in der Innenschau nach außen. Eine Jakobsleiter war gestiegen aus dem Bodenholz, ein Weisheits-Dreieck war zu sehen, und Literatur stand so zitatenklar vor ihm wie selten. Vollständig memorierte er den Text der Seite 143 in dem Buch Bis in den Himmel: „Verzeih mir, Tomomi, ja…?“ sagt ein junger Mann, der in ausgetauschtem Körper vor seiner Tochter kniet. „Wuff Wuff Wuff“ bescheinigt ihm der Hund sein wahres Wesen, und das Blätterwerk sagt „Schhhhhhh“.

16. Juni 2012 20:24










Hans Thill

Der Partisan Wiese

verschwindet in seinem Fleckchen zwischen Halmen, wo es kein frisches
Hemd gibt, keinen Frisör. Anderswo macht die glatte Donau ein Knie,
hier braucht es runde Leute, während die Panonische Ebene flache
Kämpfer bevorzugt. Das Hasental

kennt nicht einmal den Rasenpartisan. Hier spricht man feucht die Worte
wie ein Stück Fleisch, ein Wurm, den die Amsel aus der Krume zieht. Hier
näht die Norne einen Knopf am Jeanshemd fest. Partisan Wiese trägt seinen
Namen kurz, fast einsilbig, dazu eine Krawatte

aus Moos, die ihre Fortsetzung findet in einer selbstgedrehten Zigarette. Seine
Religion ist Elfenbein und die Sichel der Sikarier. Frauen kochen ihm Essen,
stellen es auf eine morsche Platane, setzen den Wein hinzu auf einen Strunk,
die Wiese ist

mager. Frauen, très differentes des animaux. Kochen ihm einen Speierling
oder einen Schierling aus Pilzen. Er wohnt mit Hummeln in einem Baum,
er lebt in einem Topf mit Bienen. Die Deutschen haben seltsame Namen,
ihre Witwen leben von Abgüssen. Sie heißen

Ute Luchterhand oder Friedeburga oder Mechthild von Milch. Lieber sollten
sie heißen: Leuchthand, Käfergold und alle sollen bei Regen Platz finden
unter einem Fliegenpilz. Die Frisöre sollen singen: Love me Love me
und eine Amsel wird sie erhören.

Denn so ist das Gesetz der Wiese, festgenäht mit Fleisch und an die Halme
gebunden, es sind Gebote, schweigsam wie das Wort Gras. Das Blatt entrollt
sich und wird von Insekten eingerollt. Der Partisan spart das Gift. Er hat keine
Schlangenarmee

und eine Levitation der Wiese braucht auch andere Leute. Partisan Wiese
und Partisan Salzig verschwinden in einem Fleckchen Dornen, einem Tropfen
Donau. Die Kälte ist groß wie lange nicht mehr …

für Mila Haugova

14. Juni 2012 08:02










Hans Thill

Mila Haugova

Mila Haugova in Bratislava

14. Juni 2012 08:00










Sylvia Geist

Aus Milas Garten

Viermal haben wir uns getroffen. Ich habe mehrmals nachgezaehlt, weil es mir schwerfiel zu glauben, dass es nicht oefter war. Zuletzt sahen wir uns im vergangenen Oktober in Edenkoben, und es war wieder, als machte die Zeit einen kleinen Bogen um die Momente, die wir zusammen am Tisch sassen. Sie schaelte einen Apfel aus dem Garten hinterm Haus, und die sternfoermige Anordnung, in der sie die Schnitze auf einen Teller legte, erinnerte mich an ein Kindheitsgefuehl, eine Textur aus Geborgenheit und Geheimnis. Ob auch der Kuerbis, den sie mir spaeter schenkte, aus dem Garten stammte oder aber vom Markt, weiss ich nicht mehr, wahrscheinlich fragte ich gar nicht erst danach. Irgendwie ging ich davon aus, dass sie sich dieses Edenkobener Gartens laengst angenommen hatte, so dass dort nun mit allem Moeglichen zu rechnen war, auch mit Kuerbissen.
Der Garten ist Mila Haugovás Ort, Topos vieler ihrer Gedichte, das fruchtbare Hinterland ihrer Sprache, ihr „Traum von der Form“, wie sie in ihrem Zyklus „Der geschlossene Garten (der Sprache)“ schrieb. Geschlossen, wie eben ein Garten ist, eine Anlage, durch einen Zaun von der Strasse getrennt, von Hecken, Buschwerk und Nesseln geschuetzt, mit verletzlichen Grenzen zwischen den Nutz- und Blumenbeeten, zwischen Wegen und Wiesengrund, aber offen, ja gastlich fuer den Leser.
Heute ist Milas 70. Geburtstag. Ihr Garten waechst und ist voller Gaeste.

Mila Haugová

Garten: bedrohtes Nest
voller zarter soeben abgestreifter Eidechsenhaeute
im heissen Schatten gleitest du in mich
und nimmst mich samt der ganzen Insel.
unsere Koerper entfernen sich von der Sonne
weisser Trajekt Nadelkleid Lehm
die Eidechsenhaut trage ich mit mir.
ohne Koerper kann ich nicht gut sehen.
wir sagen Zuhause zu einem fremden Ort.

15.6.2000
(deutsch von Angela Repka)

14. Juni 2012 05:44










Mirko Bonné

Willkommen, neuer Fisch!

Nach langer Zeit, liebe Leserin und lieber Leser, kann DER GOLDENE FISCH Zuwachs vermelden. Ich freue mich, die 1980 in Mannheim geborene Lyrikerin Carolin Callies in den Schwarm einladen zu können. Ihre Gedichte klingen nach Konkreter Poesie, vielleicht Wiener Schule, doch sind bei genauerem Lesen und Hinhören ganz neu und anders, voller Verweise auf Erinnerungen und Sinnlichkeit, dabei stets dialogisch und deshalb von fruchtbaren Zweifeln und verblüffendem Witz getragen. So Carolin Callies‚ „kopien vom mähen“:

du hast kopien vom mähen gemacht,
ordnungsfanaktiker, der du bist
& hast mir dabei schwierigkeiten eingehandelt:
sie handeln von obst & unbeholfenen orten,

die teilten wir in beschnittne gebiete – durch linien, blau & rot & anämisch gleich.
da blieb nicht viel, nicht viel an belohnenden ressourcen.
bis hierhin: wenns noch langweiliger wäre, schnitten wir es einfach raus
& fädelten es neu auf – als koordinaten in den halmen.

Ich freue mich sehr, Dich bei den Fischen zu wissen. Herzlich willkommen, Carolin!

*

11. Juni 2012 13:13










Gerald Koll

Zazen-Sesshin (23)

Der Blick hat sich wieder verbohrt in die Dielen: Dünen aus Sand rollen auf beiden Seiten einer Schlucht. Im tiefen Graben der Fluss. Im tiefen Graben des Sitzfleischs schaufelt das stehende Sitzkissenrad. Beichten, beichten! Gefälschte Neigungen, gestohlene Stunden, so Vieles gibt es abzubüßen. Das rektale Purgatorium wird ohnehin vollstreckt. Könnte man es nicht verrechnen mit eilig nachgeschobenen Geständnissen? Ein Garten liebäugelt hinter einem Rokokotor aus efeuberanktem Gestänge. Es regnet an diesem 29. Nachmittag im Dezember, jeden Tropfen kann man hören, als würde jeder einzelne mit spitzen Fingern auf die heiße Platte meines Kopfes geschnipst.

10. Juni 2012 14:32