Mirko Bonné
And the gates / Of the town closed as the town awoke.
Dylan Thomas
Die Wellen, die draußen ertrinken wollen,
laufen zum Schlafen alle in die Dünen.
Und du bleibst? Meinetwegen. Gut, bleib.
Die Strände lang versinken grauenvolle
Schätze im Schlamm, und zwischen ihnen
führt deine Spur, als wär sie selber Welle.
Kennst du am Ortsende die Engeltankstelle?
Der Küstensaum ist Küstenwall. Alles treibt
gut oder übel sonst her. Schon ist es weg.
Binnenland so ein Backsteinort, der träumt
von krummem Regen. Such ein Versteck
am Sonnenheizofen, und du findest keins.
An den Himmelsfäden runter hängt eins.
Vorm Ortsende kommt die Engeltankstelle.
Jeder Schuppen ein Käfer, die Beine Pfähle
mit Muschelpocken, wo Jungs hämmern.
An Leinen knallen blau Röcke. Die räumt
der Wind in die Luft, wenn es dämmert.
Die See kommt nicht zu Besuch, fast nie.
Sie kennt ja alles, nur keine Diplomatie.
Aber am Ortsausgang die Engeltankstelle.
Und in den Zimmern aus Zwieback und Ale
Häher-Gourmets, Möwen-Versteherinnen.
Kinder-Krähen. Mit Glück knospt ein Kahn
in einer Bö. Alles was zählt, ist drinnen,
draußen ist zu. Nimm dich jemandes an,
und bist’s nur du. War’s das? Dann geh.
Am Ortsende siehst du die Engeltankstelle.
Für Jan Wagner
*
22. November 2024 16:57
Tihomir Popovic
ich sah sie
sah die stadt
im fluss
in einer tasse
passionsfruchttee
in montmartre
hinterm bachwasserfall
auf der konzertbühne
in der salle gaveau
in den fenstern
der fliegenboote
die mein vater liebt
im verschmitzten
sternengeschimmer
der boulevards
bei fnac sah ich sie
denn mein vater folgt
dem spatzengesang
im schwarzen kaffee
zu unserem späten
kaminfrühstück
in seiner iris
dem leuchtlächeln
sah ich sie immer
ich sah die stadt
da war sie noch
paris
21. November 2024 11:22
Hans Thill
5
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Nix, Stirnband der Dido, freut den Knirps so vehement
wie einen Kunden der betörten Felstaube im Pelz,
wie ein stiller Afro käme sie als Knospe (mit Schürze)
und neben ihr der forsche Voodoo, selber
ein knappes Pflaster, dito, nein, ist
schon zuviel. Wunderknoten
sitz still!
18. November 2024 16:08
Tihomir Popovic
sie rauchte da noch
im rückspiegel
das auto schneller
als unsere flüsse
und ich denke an sie
hoch über der seestrasse
bei den chansons
mit marillengeschmack
dort wo die halden
wolken werden
12. November 2024 12:03
Mirko Bonné
Scheuerbambler, original
Tabak-Blatt-Bündel, an den
Stielen, mit Draht, zusammen-
gebunden, wurde in Scheunen
zum Trocknen aufgehängt,
aus Ranstadt / Wetterau,
um 1946, guter Zustand.
Tabakschneidebänkchen,
Kurbelvorschub u. 20 cm
langes u. 4 cm breites
Wännchen aus Stahlblech,
8 cm hohe Alufüße, in deren
Flansch lagert die Vorschub-
spindel; Schneidehebel,
Alu, Messerklinge, Stahl,
gewerblich, um 47.
3 lose, filterlose Zigaretten,
Chesterfields, mit Logo,
etwaige Nachfertigungen,
Tabakschneider 1948,
Alu, zeittypische Merkmale
(rauer, löchriger / pickliger
Guss u. Handfeilmarken),
Kurbeln schiebt gepresste
Blätter automatisch vor u.
schneidet ab
Für Jürgen Becker (1932–2024)
*
10. November 2024 15:15
Hans Thill
4
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Hier haben wir die Schule der Gehenkten.
Gereift über Bäumen, auf Dächern, zum Glück
für die Strange-Fruit-Company,
und der Schall solls in die Schenke tragen,
Schellen sind dem Richter, wenn er
steinigt, sein Gerät. Schwillt der
Sturm hinterm Rücken einer
geselligen Getsehmaneh?
Nobel gestochen ist der
Reifen die Schale und
der Kern eine Welle nur
noch ohne Gelenk.
9. November 2024 13:18
Christian Lorenz Müller
„Na also“, sagt sich dieses Gedicht,
„die Jury hat mich ausgewählt, ich wusste es ja,
ich bin besser, poetischer, großartiger,
ab jetzt werden sich alle anderen Texte
meine Verse freiwillig zwischen die Beine legen,
sie werden mich unablässig zitieren,
ausschließlich blonde Metaphern verwenden
und mich in den zweihebigen Jamben
eines Doppelwhoppers preisen,
ich bin republikanisch rot wie eine Cola-Dose,
ich bin das Salz der Erde,
das sich auf den French Fries wiederfindet,
ich allein beschreibe das Lebensgefühl derer,
die sich schon am frühen Morgen mit Fox News
einen Softdrink reinziehen und im Auto
an einem politischen Cholesterinspiegel kollabieren,
der im Obama-Care-Krankenhaus
nicht behandelt werden kann, ich allein
streiche die Fahnenmasten in den Gated Communities
in jungfräulichem Weiß, ich ziehe die Fahne auf,
bestirne, bestreife die Welt, ich verstaue
das Second Amendment in einem Futteral
für Schnellfeuerwaffen, Made in China,
ich allein erschaffe Sätze voll Fentanyl, Xylazin,
ich lasse die Gehirne abheben wie Elons Raketen,
ich bin das Gedicht der Gedichte,
ich bin der ultimative poetische Algorithmus,
ich bringe die Schreibkunst an ihr Ende,
auch hier, im Goldenen Fisch,
poste ich mich für immer oben,
hier ist keine Zeile, ist kein Wort mehr über mir,
nur noch ein Himmel aus Einsen und Nullen,
in dem meine Allmacht wohnt.“
7. November 2024 13:21
Christian Lorenz Müller
Wann geht die Geduld der Erde
endlich zu Ende, wann schlammt sie sich
um die Reifen, wann lehmt sie
alle Panzerketten still,
wann zieht sie den stürmenden Soldaten
die Stiefel von den Füßen,
wann durchfeuchtet sie die Munition,
wann werden die Schützengräben
zu Grachten, auf denen der Traum
vom Frieden leise gleitet,
wann ockert die Erde all das vergossene Blut
ins Erinnern, ins Vergessen,
wann kleistert die Steppe
Drohnen, Flugzeuge fest an ihren Bauch,
wann verschlufft sie die Rohre der Artillerie,
die Läufe der Kalaschnikows,
wann saugt sie die Splitter, die Schrapnelle
so tief in sich hinein, dass keines Menschen nackter Fuß
sich daran ritzt im nächsten Sommer
wann
21. Oktober 2024 13:59
Björn Kiehne
Ich setze mich zu den Männern ins Café,
die Sonne wärmt den Platz und mein Knie,
das noch vom Spaziergang schmerzt.
„Jetzt bin ich alt“, denke ich bei mir.
Eine Möwe fliegt über den See, nimmt meine
Gedanken mit zu Anand, der im Tropeninstitut
an einem Virus starb, das seine Leber aushöhlte,
bis sie nichts mehr war als ein nutzloser Schwamm;
zu Nyan-Soe, der daran starb, dass er liebte.
Die Lungenentzündung nahm ihm die Luft zum Atmen,
mein Geld für seine Behandlung bezahlte die
burmesische Bestattung mit Mönch und Feuerwerk;
zu Roberto, der TikTok mit Videos füllte.
Ein Weichteiltumor, nussgroß, streute die
hungrigen Kinder in seinem Körper; vor den
Augen der Familie fraßen sie ihn langsam auf.
Die Möwe kehrt zurück über den See.
„Alle, die ich liebe, werde ich verlieren“,
denke ich bei mir, blinzle in die Sonne,
nicke dem Tod zu und trinke meinen Tee.
15. Oktober 2024 23:31
Hans Thill
3
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Anderntags holt sich der Plutoniumhund wieder das Scherle
und schneidet aus Blech die Lyrik zum Fraß. Sternköter
faß! Stapelte Teller und Scheiben noch bis zur Sonn, da es
dunkelte, ein Migo läge im Schatten,
der Motor des Zu-sehr.
Überaus gelobtes Lügenbegehr, welche
Locke langte wohl an den satten
reinlichen Schächer
rechts von der
Leiter.
Nur erschossen ist bereits einmal erreicht.
12. Oktober 2024 14:37