Sylvia Geist

Gallium

die höhlen
von gran sasso erfahren nicht viel übers licht.
anderes erfüllt sie. restchen. nichtlicht am gedachten docht das
mmmmglück das keiner hält als stille raserei von partikeln
und glatter durchschuss:

voll davon
jetzt und jetzt verlassen – passage und passé. aber
in den tanks des massivs schwappt eine lösung die
mmmmdas fangen soll. wovon es unendlich viel gibt. nicht
licht. einmal erwärmt

würde es
in den tanks übrigens himmelblau. doch nicht mehr
wie zuvor. die sonne ist noch an der arbeit.
mmmmmehr erfährt man im berg nicht. daher das bittere.
daraus der name.

15. Juli 2011 01:15










Sylvia Geist

holder

bis in die schwächsten Empfänger an
gerauschter Tinnitus, Schwindel
Anfälle bei Nieselreigen, Befund:
bis in die Wurzeln, der Tanzdrang.
Ja Grünlinge, Gräser, die
Grasmücke, ja, und das Raubzeug
in dessen schnellem Universum
er so sein muss, Schlagbaum
mit dem Herzen, dem rechten Fleck
gegenüber: sinister in der Sprache
der Medizin. Unbedingt kann er
Fibern, Rindemittel, Balsame, kann
ein Meister von Glückssymptomen
gebeugt zu berücken, Beeren. Windfang
natürlich, Fort-aus-den-Ästen nicht.

Er liebt die toten wie Taten, Luft
gewöhnt in Zweigen zu reden
lullt Bleib oder Blei immer
fort. Andere, ja. Kamen vorbei.
Gläubiger, Irrer, Arglose und so fort
laufend Getier, und der höllische Dante
erschien zur Blumenmesse und
brach ihm Herrlichkeiten ab, poetry
is a blood jet
, das ist ein Vers aus
der Biologie, panic leaves
this way
. Heimgesucht, getakelt
mit dem Tauwerk von Spinnen, lilac
Gulag, konspirativer Bau für Beuten.

Zweimal täglich ist er stiller
Brüter, Asteridenkraftwerk
mit dem Vergänglichen von Nacht
oder Schacht betrieben. Weiß er um
die ferneren Systeme, erinnert er sich
an die Kargheit, ganz am Anfang
des Gewerbegebiets? Da war er mal
Protagonist seiner Inquisition
danach gab es ihn in hellen Scharen
eine von Licht dämonisierte Plantage
verheerend. Man schaue nicht hin, nie
in dem Moment. Man denke sich
das im Singular, dabei so wie morgen
jeden Morgen, unbestimmt, das ist
stumm in der Sprache der Wörter
um die Heilstelle, Holunder

für Tom Schulz

10. Juni 2011 13:02










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Präludium

I.

Barocke Amseln zwitschern, Tanz
im Gang leuchten Frauen auf,
verschwinden, der Gastgeber
gibt Rätsel. Die mit mir kamen,
haben längst verloren, wir alle
wohl auf dieselbe Art. Menge
flutet, staunt Raum für Raum,
vergisst: Keiner kenntlich, jeder nah.

II.

Durch einen schulterschmalen Korridor,
die Kleiderkammer, flattert ein Gerücht,
in der Mitte dieses Baus gibt es
den Flügel, und ich finde mich,

dunkel angezogen jetzt, vor einer Luke:
Tief, in einem noch ferneren Geschoss
vielmehr, ausgebreitet, schwarz wie schönstes
Pech, er.

Keine Treppe, von nirgends nach nirgends, irgend
jemand warnt, das Pochwerk weiß es anders,
morst, wie sich lehnen
in den Fall

III.

ins aufgespannte Land, vor Ruhe
weit und eben. Die Partitur, heran
geweht, nistet in der Hand. Nur
auf dem Flügel sitzt schon einer, raucht.
Zu spät. Er nickt: Für heute abend.
Die Freude steht, poliertes Tiergebein
und Rabenholz, singt erst, noch, auch.

17. Mai 2011 12:51










Sylvia Geist

Jod

die glieder
eins zwei gefaltet liegen bleiben in der anatomie
einer einfachen blume oder in der nachahmung des beginns
mmmmohne fingerabdruck ohne unterscheidbare züge um die eigene mitte
gefesselt das auszählen abwarten joch und mond drei vier
mmmmdie bis zu den gräten des gehörs nummerierten schlüssel
gebeine markieren wo was verbunden werden soll.

von innen
besehen sind die brüche klar die knochen transparente
relikte auf der schiene die nur eine richtung erlaubt
mmmmüberholt: völlig durchleuchtet ist eine linie die andere wert
nicht zu fassen und jeder vollständige satz gelenke bedeutet
mmmmschon einen künftigen unfall der wachstum simuliert was sonst
hätte uns austreiben lassen was sonst versucht:

abtauchen vielleicht
zu den nassen schatten aus der art schlagen
nicht unverdauliche perle einer ins restlose gezogenen nahrungskette mehr
mmmmsein sich lösen ganz gelatin das gesicht ein überschuss
der zu entwickeln gewesen wäre abgelegt eine eiweise schlupfhülle?
mmmmim thallus der braunalge wachsen gegenmittel zum gedächtnis an
prophezeihungen die zu erfüllen keiner sich weigert.

(2003/2011)

28. April 2011 09:30










Sylvia Geist

Wiederfund (14): Zu den Fortschritten in der Gesundheitspolitik

„Nachdem ich wusste, daß ich zu wenig Streptomyzin bekam, eine lächerliche Menge und also soviel wie gar nichts, hatte ich einen Vorstoß bei dem Triumvirat unternommen, wurde aber sofort abgewiesen, meine Forderung bezeichnete man als Unverschämtheit, ich wisse nichts, sie wüßten alles, während ich selbst damals bereits, weil es ja meine Existenz betroffen hatte, nicht mehr der Dümmste auf diesem Gebiete der Lungenheilkunde gewesen war und genau wußte, daß meine Behandlung eine größere Menge Streptomyzin erforderte. Ich bekam sie aber nicht, weil ich gesellschaftlich eine Null war. Andere bekamen, was sie brauchten, sie hatten die Reputation, die Fürsprache, einen Beruf, der mehr Eindruck machte. Das Streptomyzin wurde nicht nach der Notwendigkeit ausgegeben, sondern nach den schäbigsten Gesichtspunkten, die sich denken lassen. Nicht ich allein war im Nachteil. Es gab die Hälfte der Bevorzugten, und es gab die andere Hälfte der Benachteiligten.“

Zur Vermeidung von Missverständnissen: Der Textauszug ist Thomas Bernhards autobiographischer Schrift „Die Kälte. Eine Isolation“ entnommen. Darin beschreibt er seine Erfahrungen in einer österreichischen Lungenheilstätte um das Jahr 1950 herum.

Thomas Bernhard: Die Kälte. Eine Isolation, dtv, 2011

11. April 2011 12:04










Sylvia Geist

Sturm

Meine Erinnerungen an Thomas Kling beschränken sich auf eine einzige Begegnung. Und die war eigentlich gar keine. Ich war damals Praktikantin in einem Literaturhaus in Berlin und genoss das Privileg, von meinem Arbeitsplatz gegenüber dem Chefschreibtisch so gut wie alles, was sich hinter den Kulissen abspielte, aus der Nähe, zugleich aber aus dem gesegneten Stand der Unwichtigkeit und damit der nahezu völligen Unsichtbarkeit heraus zu beobachten.
Einmal befand sich das ganze Haus schon am Vormittag in heller Aufregung. Auf meine verwunderte Frage, was denn los sei, antwortete mein Chef nur: „Kling.“ Aus seinem Tonfall sprach die Vorab-Erschöpfung eines Menschen, der weiß, dass er in den kommenden Stunden einem Naturereignis mit ungewissem Ausgang ausgesetzt sein wird. Abgesehen davon verstand ich nur Bahnhof.
Als Kling dann durchs Büro gefegt war, war mir manches klarer geworden. Doch mein Verständnis hielt sich immer noch in Grenzen, sowohl was die Selbstverständlichkeit betraf, mit der er die Kapitulation anderer vor seinem Temperament vorauszusetzen schien, als auch hinsichtlich des Verhaltens von Leuten, die es sonst gewohnt waren, in schwierigen Situationen souverän zu reagieren. Was ich an diesem Nachmittag beobachtete, sah Furcht zumindest zum Verwechseln ähnlich: Furcht, noch mehr falsch zu machen (denn offenbar war längst alles Mögliche falsch gemacht worden), Furcht, mit ein paar allzu treffenden Worten verletzt zu werden, Furcht vor einem Eklat. Ich fühlte mit, merkte, wie mir selbst der Blutdruck stieg, und bewunderte meinen Chef für seine Selbstbeherrschung (und hätte ihn doch noch mehr bewundert, hätte er sie fahren lassen – ich war eben jung).
Entsprechend ab- und angespannt ging ich abends zur Lesung. Dass sie mir unvergesslich geblieben ist, braucht keinem versichert zu werden, der je eine Kling-Lesung erlebt hat. Nie zuvor war ich Zeugin einer solchen Präsenz gewesen. Wir lauschten einem Menschen im Zustand der Hingabe. Der Auftritt, dem ich vorher beigewohnt hatte, war nicht etwa verständlicher, sondern was die Mühe, es zu verstehen, zu lohnen versprach, fand genau jetzt statt.
Mittendrin stand ein älteres Paar von seinen Plätzen in der ersten Reihe auf und schickte sich an, den Saal zu verlassen. Atemlos erwarteten wir ein Donnerwetter. Doch Kling sah nur kurz auf und sagte – nach dem Tornado im Büro überwältigend – milde, als verstehe nun er, dass nicht jeder jedem Ansturm standhalten könne: „Ja, gehen Sie ruhig. Und einen schönen Abend noch.“ Dann las, nein: rezitierte, stürmte, sang er weiter.

1. April 2011 14:51










Sylvia Geist

Limette, backstage

Ich wusste, du hast sie.
Grüne Zellen, Kapselwasser, Geschmack
entgegen der Zunge, die auf Süßes sinnt.
Nennen wir sie so oder wenn wir sie teilen
Limes, du wirst sehen, das Ganze
ist einfach.

Dich hat man von einem Trapez gepflückt,
mich, glaube ich, aus einem Einkaufskorb
im Winter, jetzt danken wir dem Zufall,
an einer menschenfreundlichen Variante
seines Spaziergangs mitzuwirken.
Wir brauchen unsere Feinde nicht

zu lieben, wir sind Teilchen
der Komparserie, die vorüberzieht, während
Moses noch Horesmores erzählt wird,
und singen Weitergehen, hier gibt es nichts
zu sehen
, den Slogan des Mysteriums.
Nimm nur diese Hälfte: sieht das nicht aus

wie ein sehr kleiner Stern,
dieses bitterliche Strahlen um eine Mitte?
Als hätten wir es besser machen können.
Den Mund geheftet unter Vitamin,
stärken wir uns, wenn es sein muss,
im Gehen, alle seine Gaben sind gut

und verderblich. Das Spiel geht weiter,
man schreibt, glaube ich, den Vorhang
Hundertvierundvierzigtausend in Worten, es ist
Montag, und wir müssen wieder los,
loben im Chor, brennen in Schichten,
das ist der Lohn.

21. März 2011 15:50










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Quarantäne

Man geht einzeln, ahnt,
hier wird man grundlos atmen.
Flach, achtsam, ökonomischer
Modus. Nichts wird verlangt,
auch Sterben nicht. Das gibt es
wie die Feindseligkeit der
Temperatur und ihren Beleg,
das Fähnchen Warmluft
am Fenster zum Flur.

13. März 2011 15:29










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Ostergrau

Gestört vom Knistern,
vielleicht geöffneter Briefe,
zweifeln am morgenblassen Zimmer:
unter Schrankbäuchen, zwischen Tischbeinen, Sesselkrallen,
im Schutz jeder Ecke

Eier. Ungeduld rasselt
reishell wie in einfachen Instrumenten,
gerührt von eigenem Puls, ihre Schmeichelsteinwärme
bedarf keiner Hand, gibt nichts zurück, nur
aus. Sachtes

Schalenbersten, ein graues
Dotter, ein Schwanenküken zuerst.
Unwiderstehliches Bersten, unzähliges, Zahllosigkeit
und Zerbrechlichkeit überfüllen den Verstand, sacht
zerbirst er, während die Hände einsammeln wollen, bergen

auch das Jüngste,
den Elefanten, von Kalksplittern befreien
die feine faltige Haut, mit Fingerstrichen,
die ihn besser glauben, winzige Stoßzähne begreifen, alles, alle
Arten, auch das aufspringende Glück

21. Februar 2011 14:55










Sylvia Geist

Nachtausgabe

Blankes Gespräch

I.

Am runden Tisch im Stehcafé
er, sie und es. Sie ein Umriss,
Zartheit, Pappkameradin oder
Kartenhaus, die Stimme
gläsern und sein: Die nicht
richtige Menschen sind,
müssen jetzt gehen.

II.

Es ging.
Es ging
ein Haus hinauf,
an seiner Fassade ging es
Aufgänge entlang, Untergänge, vorbei
an Stirnenhaufen, Monden ging es,
begleitet von einem
mit Gesichtern, feindlich, freundlich,
zu schnell fürs Auge, zu natürlich
fürs Herz mit seinem Erzgemenge,
Glimmer eingeschlossen, immer
weiter ohne Haken und an der Dämmerung
kein Ende.

III.

Nahm den Fahrstuhl zu der Straße,
wo die beiden Alten gingen, bei einander
in Sommer und Teer. Wie im früheren
Immer der weiche kühle Mutter
Boden abseits des blanken Gesprächs.
Was du auch anstellst. Kein Aber.

10. Februar 2011 15:09